Vieles entwickelt sich im Lauf der Kindheit: der Körper, das Gehirn, die Seele, die Eltern, die ganze Familie, die Beziehungen zwischen ihren Mitgliedern. Die Familie ist ein komplexes System, das im Idealfall alles bietet, was das Kind als Anreiz braucht. Die Erlebnisse mit den anderen Familienmitgliedern sind das Spielmaterial, welches das Gehirn des Kindes formt. Wenn das Kind isoliert aufwächst, stellt es die Entwicklung ein, wird debil und behindert.
Das Kind kommt mit seiner genetischen Ausstattung auf die Welt, hat bestimmte Begabungen, und Schwächen, unterscheidet sich von seinen Geschwistern durch seinen angeborenen Charakter, hat von Anfang an bestimmte Lebensthemen, trägt bereits einen Plan in sich, was es lernen und bewältigen will. Die Gene legen die Grobstrukturen fest, bilden die Hardware, stecken die Potentiale ab.
Das Betriebsystem des Gehirns wird von den Eltern programmiert, zunächst von der Mutter. Deren Gebärmutter ist das erste Umfeld des Kindes. Auch nach der Geburt ist die Beziehung zur Mutter lebensnotwendig. Gefühle, Ängste und Sehnsüchte übertragen sich in diesem engen Kontakt von der Mutter auf das Kind, ihre Lebenserfahrungen werden zur ersten Beziehungserfahrung des Menschen, prägen seine Wahrnehmung.
Moderne Väter teilen sich nährende, sorgende und liebevolle Aufgaben mit den Müttern. Früher überließen die Väter diesen Bereich ihren Frauen, traten erst spät in Beziehung zum Kind. Dieses hat die Wahl zwischen zwei verschiedenen Modellen. Der Vater verhält sich anders als die Mutter, vertritt andere Positionen, hat andere Stärken und Schwächen. Im Dreieck Vater, Mutter, Kind entsteht Bewegungsfreiheit, kann man verschiedene Seiten seines Selbst auszuprobieren, lernt, soziale Rollen zu unterscheiden.
In der Regel bekommen die Kinder bald Konkurrenz. Mutter und Vater wenden sich einem jüngeren Geschwisterchen zu. Zuerst entsteht Eifersucht, bald aber werden die Konkurrenten zu Gefährten. Sie lieben und sie streiten sich. Unterstützung, Spiel, Spaß, Zorn, Kampf – mit Geschwistern wird es nie fad, wächst die soziale Anpassungsfähigkeit.
Beim Spielen in der Nachbarschaft, im Kindergarten und in der Schulklasse lernt das Kind von Gleichaltrigen, begreift die Dynamik der Gruppe, findet seine Position, bewältigt Erfolge und Niederlagen.
All diese Beziehungen programmieren das Gehirn. Dabei übernimmt das Kind die Normen, Regeln und Werte der Gesellschaft. Diese Normen sind ein sicherer Boden, auf dem sich alle bewegen. Beim Aufeinandertreffen verschiedener Kulturen werden diese Selbstverständlichkeiten in Frage gestellt. Kulturelle Entwurzelung kann die Entwicklung des Kindes behindern, interkulturelles Lernen kann sie fördern.
Gehirn – Computer
Genetik – Hardware
Eltern – Betriebssystem
Gesellschaft – Programme
In all diesen Anregungen und Möglichkeiten sucht sich das Kind seinen Weg, trifft Entscheidungen, was es früher und was es später lernen will. Entwicklung vollzieht sich individuell, abhängig von Motivation und Lernmöglichkeiten. Werden Sie nicht nervös, wenn Sie Ihr Kind mit anderen vergleichen. Wo es interessiert ist, übt es viel und entwickelt sich schnell. In langweiligen Gebieten bleibt es ein Spätzünder. Aber Erfolg wird es später ohnehin mit seinen Stärken haben und die wird es seine ganze Kindheit lang trainieren. Dazu braucht es Zeit. Zeitdruck ist kontraproduktiv. Die Frühreife von Wunderkindern ist nicht unbedingt ein Garant für ein glückliches Leben. Das Kind kann in manchen Gebieten bis zu einem Jahr hinter seinen Gleichaltrigen herhinken, ohne dass dies seine Zukunft beeinträchtig. Wenn es allerdings eine Entwicklungsverzögerung von zwei Jahren hat, dann sollte man es medizinisch und psychologisch behandeln lassen.
Beziehungen sind das A und O der Kindheit. Die Liebe der Eltern gibt die seelische Stabilität, mit der man das Leben meistert. Das Modell der Eltern macht Mut, Neues auszuprobieren. Kinder haben ähnliche Interessensgebiete wie ihre Eltern, nicht unbedingt auf Grund gleicher Gene, sondern weil sie den Eltern alles nachmachen. Was die Eltern vorleben, das lernen die Kinder ganz von selbst. Leider auch schlechte Gewohnheiten, wie Rauchen, falsches Essen, Bewegungsarmut, Unzuverlässigkeit, Ängste, Minderwertigkeitsgefühle. Rauchen zu bestrafen, obwohl man selbst raucht, ist nicht von Erfolg gekrönt. „Ihr tut es ja auch, warum darf ich nicht?“, argumentieren die Jugendlichen durchaus logisch. Wer seine Kinder vor Rauchen, Trinken oder ähnlichen Lastern schützen will, muss selbst damit aufhören.
Lernen am Modell ist eine mächtige Kraft, macht die Persönlichkeit der Eltern zum Maßstab für das Wesen der Kinder. Insofern sind wir Eltern tatsächlich schuld an dem, was aus unseren Kindern wird, sind verantwortlich, weil wir sie prägen. Im negativen wie im positiven Sinn. Wenn etwas schief läuft, sollten wir uns selbst an der Nase nehmen und überlegen, ob unsere Vorbildwirkung renovierungsbedürftig ist. Wir sind aber zu Recht stolz auf alles, was das Kind erreicht, weil unsere Persönlichkeit sich in seinem Verhalten widerspiegelt.
Der Einfluss der Eltern ist das beste Heilmittel. Wenn wir über unsere Familie nachdenken und gute Lösungen finden, dann übernehmen die Kinder diese ganz von selbst. Wenn wir begreifen, wo der Fehler sitzt und diesen beheben, werden Kinder schnell gesund. Gute Eltern holen sich Hilfe bei Ärzten, Psychologen, Beratern, bis einer das nötige Wissen liefert. Schlechte Eltern verweigern Hilfsmaßnahmen und leben weiter im falschen Trott.
Kinder sind ihren Bezugspersonen ausgeliefert. Sie lernen zunächst das, was ihre Eltern schon können. Die Schwächen der Eltern stecken die Grenzen dessen ab, was dem Kind ermöglicht wird. Erst wenn sich junge Erwachsene von den Eltern lösen, können sie über diese hinauswachsen.
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