Jeder Mensch hat Geheimnisse: Intime Tatsachen werden nicht jedem erzählt, Geschäftsgeheimnisse müssen bewahrt werden, um vor geistigem Diebstahl sicher zu sein. Priester, Anwälte, Ärzte und Psychotherapeuten haben strenge Verschwiegenheitspflicht, um ihre Klienten zu schützen. Was wir nicht weitererzählen, bewahren wir uns. Gute Geheimnisse schützen uns vor Einmischung.
Auch Erlebnisse, die schwierig oder peinlich sind, müssen wir natürlich nicht jedem auf die Nase binden, denn es ist damit zu rechnen, dass unsere Gegner unsere Schwächen ausnützen werden, wenn sie davon erfahren. Wir basteln uns daher eine Fassade, die unsere guten Eigenschaften nach außen transportiert, unsere schlechten aber versteckt. Wenn es sich dabei um nebensächliche Details handelt, dann ist das auch ganz in Ordnung. Wenn es sich dabei aber um schwerwiegende schuldbeladene Fakten handelt, dann entsteht eine Spaltung zwischen Erleben und Image. Wir bleiben auf den Schuldgefühlen und Ängsten sitzen, die wir vor der Umwelt verstecken. Der Mensch ist ein soziales Wesen, welches Kommunikation benötigt, um aus Schwierigkeiten zu lernen und diese zu verarbeiten. Wenn wir uns über Fehler nicht austauschen, können wir nicht die guten Lösungen der anderen übernehmen, die vielleicht schon gefunden wurden. Überdies werden Ängste, über die wir nicht reden, in der Fantasie immer weiter aufgebauscht. Das Geheimnis könnte ja entdeckt werden und dann gäbe es einen Skandal. Also benötigt das Gehirn immer umfassendere Mechanismen, um das Geheimnis weiter zu verbergen.
Mit ziemlicher Regelmäßigkeit werden in der Öffentlichkeit solche vertuschten Skandale dann doch bekannt. Karibikgeschäfte, Veruntreuungen von Immobiliengeldern, Schiebereien im Sport, Kindesmissbrauch in höchsten Kreisen – es gibt kaum eine Institution in Österreich, die noch nicht durch gut gehütete negative Geheimnisse in die Schlagzeilen geraten wäre. Imageschaden und Glaubwürdigkeitsverlust können Firmen in die Pleite treiben und Karrieren ruinieren.
Die Übereinstimmung von Persönlichkeit und Image, die Authentizität eines Menschen schafft Vertrauen und führt dazu, dass man zu einer moralischen Autorität wird und ernst genommen wird. Vergrabene Leichen im Keller führen zwar nicht immer gleich zu einer Verurteilung. Dennoch breiten sich Gerüchte aus und das vertuschte Negative wird gespürt, lange bevor der Skandal auffliegt.
Diese Prozesse von Vertuschung und Bereinigung kann man nicht nur in den Tageszeitungen nachlesen, sondern sie finden auch tagtäglich in jeder Familie statt. Familiensysteme sind sehr sensibel gegenüber Ungerechtigkeiten und führen, wie Borszomeny-Nagy ausgeführt hat, ständig Buch über moralische Schulden, die noch zurückzuzahlen sind. Wenn also ein Bruder seine Geschwister um ihr Erbe betrogen hat, wenn ein Ehemann seine Frau ermordet oder schlecht behandelt hat, wenn ein Kind über seine Herkunft belogen wurde, dann bleibt im kollektiven Gedächtnis der Familie ein ungutes Gefühl zurück. Dieses drängt an die Oberfläche, inszeniert sich immer wieder neu. Kinder spüren etwas Ungutes, ohne zu wissen, worum es sich handelt. Kinder und Kindeskinder schlüpfen in Rollen, die zum vertuschten Drama gehören. Einer hat die Rolle des misshandelten Opfers, der andere erbt die Schuldgefühle des Täters. Beides kann krank und depressiv machen. Erst wenn die Ungerechtigkeit ans Licht kommt, gewürdigt und bereinigt wird, verschwinden die Symptome, die als Spiegel des Familiengeheimnisses entstanden sind.
Wie Sie negative Folgen von Geheimnissen loswerden, lesen Sie in diesem Buch: https://www.amazon.de/Familienmuster-wächst-Familienstellen-eigenen-Persönlichkeit/dp/3707602710/ref=sr_1_6?s=books&ie=UTF8&qid=1517648346&sr=1-6&keywords=opelt+r%C3%BCdiger